Nach einer Trennung verändert sich alles in deinem Leben. Plötzlich musst du Grenzen setzen, wo vorher gemeinsame Entscheidungen so selbstverständlich waren. Dein Ex-Partner, der sich von dir getrennt hat, schreibt dir plötzlich nachts, wie sehr er dich vermisst. Die gemeinsame Freundin erzählt ungefragt, wie es ihm geht. Sein Bruder fragt, ob du ihm beim Umzug helfen könntest, „weil du doch immer so gut organisieren konntest“. Jedes Mal reißen alte Wunden auf, jedes Mal fühlst du dich schlecht. So kann das nicht weitergehen – es muss sich etwas ändern.

Ich sehe in meinen Beratungsgesprächen oft Frauen, die zwischen ihren eigenen Bedürfnissen und ihrem schlechten Gewissen hin- und hergerissen sind, wenn sie „Nein“ sagen. Nach einer frischen Trennung ist das völlig normal. Aber gerade jetzt ist es wichtig, deutliche Grenzen zu setzen, damit Ruhe einkehren kann. Du darfst selbst entscheiden, wann du für deinen Ex da bist – und wann für dich. Mit dieser Klarheit kehrt endlich Ruhe ein.

In diesem Artikel findest du alles, was du jetzt brauchst: Warum dein Ex deine Grenzen immer wieder überschreitet, wie du das erkennst und – am wichtigsten – was du konkret dagegen tun kannst. Ich zeige dir auch zwei einfache Schreibmethoden, die sich in meiner Arbeit mit Frauen nach Trennungen besonders bewährt haben: Eine hilft dir, deine Grenzen klar zu sehen, die andere unterstützt dich dabei, endlich Nein zu sagen, ohne dich danach schlecht zu fühlen.

„Bis hierher und nicht weiter“ – Warum du jetzt Grenzen brauchst

Die Beziehung mag vorbei sein, aber die gewohnten Muster lösen sich nicht einfach in Luft auf. Was sich durch seine Entscheidung sofort geändert hat, ist deine Position: Du bist nicht mehr Teil eines „Wir“, das gemeinsame Entscheidungen trifft und den Alltag miteinander teilt. Trotzdem verhalten sich dein Ex und viele andere in deinem Umfeld so, als würden stillschweigende Vereinbarungen weiter gelten:

  • Dein Ex teilt dir seine Probleme und emotionalen Schwierigkeiten mit, als wärst du noch seine engste Vertraute
  • Er kommentiert deine Fotos in sozialen Medien, als hätte er noch ein Recht auf Einblick in dein Leben
  • Seine Eltern laden dich weiterhin zu Familienfeiern ein und wirken verletzt, wenn du ablehnst
  • Gemeinsame Freunde erzählen ihm Details aus deinem Leben, ohne zu verstehen, dass diese Information nicht mehr für ihn bestimmt ist

Diese täglichen kleinen Übergriffe saugen deine Energie wie ein Vampir. Es ist, als würde er dir durch die Hintertür wieder Kraft abziehen, obwohl er gegangen ist. Du fühlst dich hin- und hergerissen: Einerseits willst du nicht abweisend wirken, andererseits würdest du am liebsten reinen Tisch machen. Das Problem: Mit jedem Mal, wo du seine Grenzverletzungen schweigend hinnimmst, signalisierst du ihm unbewusst: „Es ist okay, mach ruhig weiter so.“

Diesen Kreislauf durchbrichst du nur auf eine Art: indem du selbst den Stecker ziehst. Eine harte Wahrheit, die ich immer wieder erlebe: Diese unsichtbaren Fäden zwischen euch reißen nicht einfach mit der Zeit. Dein Ex wird nicht von allein aufhören, deine Grenzen zu überschreiten. Du musst den Schritt machen und klar kommunizieren: „Bis hierher und nicht weiter.“ Wie du das ohne Drama und mit innerer Ruhe hinbekommst, zeige ich dir jetzt.

Emotionales Ping-Pong durchbrechen: Grenzen, die er respektieren muss

Das Paradoxe an der ganzen Situation: Er war es, der die Beziehung beendet hat – und trotzdem benimmt er sich, als hätte er immer noch ein Anrecht auf deine Zeit und Aufmerksamkeit. Dieses Verhalten ist besonders verletzend, weil es dich in einer Art emotionalem Niemandsland festhält:

  • Er erklärt dir, dass er „seine eigenen Wege gehen muss“, fragt dich aber akribisch aus, mit wem du am Wochenende unterwegs warst
  • Drei Wochen hörst du gar nichts von ihm, dann kommt um 23 Uhr eine Nachricht: „Bist du noch wach?“ – und wenn du nicht sofort antwortest, folgt ein vorwurfsvolles „???“
  • Er findet ständig neue Gründe, warum er „leider“ deine Sachen noch nicht zurückgeben kann – von der Winterjacke bis zu wichtigen Unterlagen
  • Nach einem Telefonat, in dem er betont, wie wichtig ein „sauberer Schnitt“ für ihn sei, fragt er am nächsten Tag: „Treffen wir uns kurz auf einen Kaffee? Nur freundschaftlich!“

Die Psychologie hat einen Begriff für dieses verwirrende Verhalten: „Intermittierende Verstärkung“. Es ist wie ein emotionales Ping-Pong, bei dem du nie weißt, welchen Ball er dir als nächstes zuspielt. Kommt jetzt Nähe oder Zurückweisung? Diese Unberechenbarkeit hält dich in einem Zustand ständiger Alarmbereitschaft.

Das heimtückische daran: Du kannst dieses Muster nicht durch Gespräche oder Verständnis durchbrechen. Du kannst ihm zehnmal erklären, dass sein Verhalten dich verletzt – es wird nichts ändern. Der einzige Weg raus ist, selbst die Spielregeln zu ändern und konsequent Grenzen zu setzen.

Eine Übung, die dir dabei hilft, in jeder Situation schnell und klar zu erkennen, wo deine Grenzen verlaufen.

Deine Grenzkarte: Was geht ihn noch an – und was nicht

Hol dir ein leeres Blatt Papier und zeichne einen Kreis in die Mitte. Das ist dein neues Leben. Schreib jetzt in diesen Kreis alles, was von nun an nur dir gehört:

  • Mit wem du Zeit verbringst
  • Wie du dich fühlst
  • Wen du datest
  • Welche Pläne du für nächstes Jahr hast
  • Was dich glücklich macht

Außerhalb des Kreises kommen die Dinge, über die ihr noch reden müsst oder die euch beide betreffen:

  • Die gemeinsame Wohnung
  • Ungeteilte Rechnungen
  • Der Hund, den ihr zusammen angeschafft habt
  • Gemeinsame Anschaffungen, die noch aufgeteilt werden müssen

Diese simple Zeichnung ist dein Kompass für jede seiner Fragen. Er will wissen, ob du schon über Silvester nachgedacht hast? Ein kurzer mentaler Blick auf deine Karte: Das steht im inneren Kreis – also antwortest du knapp: „Darüber möchte ich nicht sprechen.“

Er fragt, ob du seine Steuererklärungsunterlagen gesehen hast, die noch in einem eurer gemeinsamen Ordner stecken könnten? Das steht außerhalb – eine sachliche Antwort ist angebracht.

Die Stärke dieser Methode liegt in ihrer Einfachheit. In emotional aufgeladenen Momenten, wenn er dich mit Fragen bombardiert, brauchst du nicht mehr zu überlegen oder dich rechtfertigen – ein mentaler Blick auf deine Karte genügt.

Dein Nein ist nicht verhandelbar: Grenzen setzen ohne Schuldgefühle

„Ich fühle mich total schlecht, wenn ich ihn zurückweise“ – diesen Satz höre ich fast täglich. Das Verrückte daran: Er hat dir den Laufpass gegeben, und trotzdem plagt dich das schlechte Gewissen, wenn du nicht für ihn da bist. Bei seinen dreistesten Anfragen schleicht sich sofort der Gedanke ein: „Bin ich eine furchtbare Person, wenn ich seine Bitte ablehne?“

Diese Schuldgefühle kommen nicht von ungefähr. Jahrelang hast du in der Beziehung gelernt, seine Bedürfnisse zu einem Teil deiner Prioritäten zu machen. Diese tief eingegrabene Gewohnheit verschwindet nicht einfach, nur weil er seine Sachen gepackt hat.

Was ich Frauen in dieser Situation immer wieder klarmachen muss: Das miese Gefühl, das dir in der Magengegend sitzt, wenn du Grenzen setzt, stammt aus alten erlernten Mustern. Es hat nichts mit der Gegenwart zu tun. Es bedeutet nicht, dass du falsch liegst oder zu hart bist. Ein Nein braucht keine endlosen Rechtfertigungen- „Nein!“ ist ein kompletter Satz!

Hier sind vier Strategien, die dir im Alltag mit deinem Ex helfen:

  1. Der Zeitpuffer: Gib dir selbst Zeit, bevor du antwortest. Seine Nachricht kann erstmal warten, besonders wenn sie dich aufwühlt. Nach einem Tag Abstand siehst du viel klarer. Schreib ihm dann nur: „Ich muss darüber nachdenken und melde mich, wenn ich eine Entscheidung getroffen habe.“ So behältst du die Kontrolle.
  2. Die Klartext-Methode: Verabschiede dich von vagen Formulierungen wie „Ich glaube nicht, dass es passt“. Stattdessen sagst du: „Nein, ich komme am Samstag nicht zu deiner Familienfeier.“ Punkt. Keine Erklärung, keine Entschuldigung. Je klarer deine Aussage, desto weniger Raum bleibt für Diskussionen.
  3. Die Ein-Mal-Regel: Erkläre jede Grenze genau einmal. Danach wiederholst du nur noch, was du bereits gesagt hast: „Wie ich dir schon mitgeteilt habe, ich treffe mich nicht mehr mit dir zum Kaffee.“ Wenn er nachhakt, wiederholst du genau diesen Satz – wie eine kaputte Schallplatte. Das ist frustrierend für ihn, aber befreiend für dich.
  4. Alles schriftlich: Wenn dir dein Ex am Telefon die Worte im Mund verdreht oder dich emotional überrumpelt, steigst du auf Textnachrichten um. So kannst du in Ruhe überlegen und hast gleichzeitig einen Beleg für deine klare Ansage: „Bitte ruf mich nicht mehr an. Wenn es wichtig ist, schreib mir.“

Mit jeder Grenze, die du setzt, trainierst du deinen „Nein-Muskel“. Es wird leichter, dein Unbehagen wird schwächer, und das Gefühl der Selbstbestimmung wächst. Du bist niemandem mehr Rechenschaft schuldig – auch nicht dem Mann, mit dem du jahrelang dein Leben geteilt hast.

Kopf gegen Bauch: Den inneren Widerstand beim Grenzen setzen überwinden

Du weißt genau, was richtig wäre. Dein Verstand sagt dir klipp und klar: „Natürlich darfst du dieses Gespräch beenden. Natürlich musst du nicht auf diese Nachricht antworten.“ Und trotzdem fühlst du dich unwohl, wenn du seine Nachrichten ignorierst. Als würdest du etwas Falsches tun.

Dieser Widerspruch hat einen einfachen Grund: In der Beziehung hast du deine eigenen Bedürfnisse oft zurückgestellt. Jahrelang hast du sofort auf seine Nachrichten geantwortet, hast seine Probleme zu deinen gemacht, seine Laune über deine eigene gestellt. Diese Gewohnheiten kannst du nicht einfach abstreifen, nur weil er die Beziehung beendet hat.

Was dich zurückhält, sind die leisen Stimmen in deinem Kopf: „Eine gute Ex-Freundin hilft trotzdem“, „Wenn ich nicht antworte, bin ich nachtragend und kleinlich“, „Ich sollte über den Dingen stehen“. Diese Gedanken sabotieren deine Grenzen, bevor du sie überhaupt ziehen kannst.

Um diese inneren Blockaden zu überwinden, musst du sie zuerst erkennen. Wenn du das nächste Mal seinen Namen auf dem Display siehst und automatisch zum Handy greifst – nimm dir drei Sekunden Zeit und beobachte, was in dir vorgeht:

  1. „Wer hat mir eigentlich beigebracht, dass ich immer erreichbar sein muss?“ Oft stecken hinter unseren Reaktionen Muster, die wir nie hinterfragt haben.
  2. „Würde ich einer Freundin in meiner Situation raten, sich noch um die Gefühle ihres Ex-Partners zu kümmern?“ Der Unterschied zwischen dem, was du für andere in Ordnung findest und was du dir selbst zumutest, ist oft riesig.
  3. „Was ist das Schlimmste, das passieren könnte, wenn ich seinen Anruf ignoriere?“ Mal ehrlich: Er wird nicht zusammenbrechen. Die Welt wird nicht untergehen. Er wird vielleicht wütend oder enttäuscht sein – aber das ist sein Problem, nicht deines.

Mit jeder dieser Fragen verlieren die alten Gedanken ihre Macht über dich. Die „Ich sollte“ und „Ich müsste“ sind zwar noch da, aber du nimmst sie nicht mehr so ernst. Nach und nach hörst du auf, dich für seine Probleme verantwortlich zu fühlen. Du erkennst: Du bist nicht mehr dafür zuständig, seine schlechte Laune aufzufangen oder seine Probleme zu lösen. Er ist für seine Gefühle selbst verantwortlich – genau wie du für deine.

Einschub

Aus der Defensive: Wie dein Leben wieder dir gehört

Es ist erstaunlich, was passiert, wenn du anfängst, konsequent Grenzen zu setzen. Plötzlich merkst du, wieviel Zeit und Energie du vorher in die Reste eurer Beziehung gesteckt hast. Eine Klientin hat es kürzlich auf den Punkt gebracht: „Als ich aufgehört habe, seine Anrufe entgegenzunehmen, hatte ich auf einmal drei freie Abende pro Woche.“ Jedes Mal, wenn du eine Grenze ziehst, holst du dir ein Stück deines Lebens zurück.

Interessant ist, wie sich deine Grenzen mit der Zeit verändern. Am Anfang geht es meist ums nackte Überleben: Du blockierst seine Nummer, weil jede Nachricht dich in ein emotionales Chaos stürzt. Du sagst Familienfeiern ab, bei denen er dabei sein könnte. Deine Grenzen sind wie Schutzwälle gegen weitere Verletzungen.

Dann, irgendwann zwischen Woche drei und vier passiert etwas Überraschendes: Du ziehst Grenzen nicht mehr nur aus Selbstschutz, sondern weil du auf einmal spürst, was du eigentlich wirklich willst. Du gehst nicht mehr nur deshalb nicht ans Telefon, weil seine Stimme dich aufwühlt, sondern weil du mitten in einem tollen Buchkapitel steckst und nicht unterbrochen werden willst. Die Frage wandelt sich langsam von „Was will ich nicht mehr?“ zu „Was tut mir gut?“.

Der schönste Moment kommt, wenn du merkst: Deine Grenzen sind keine Reaktion mehr auf ihn und eure vergangene Beziehung. Sie sind der Rahmen für dein neues Leben. Du entscheidest nicht mehr „gegen ihn“, sondern „für dich“. Du gehst zum Tanzkurs, weil du Lust darauf hast – nicht, um ihm zu beweisen, dass du ohne ihn klarkommst.

Der Weg dorthin führt über viele kleine Schritte: Stell heute Abend dein Handy auf lautlos, wenn du mit deiner Freundin essen gehst. Üb vor dem Spiegel den Satz „Das geht dich nichts mehr an“, bis er sich natürlich anfühlt. Schreib dir einen kurzen Spickzettel mit Punkten, die du ansprechen willst, bevor du mit ihm telefonieren musst.

Und dann kommt der Tag, an dem du abends ins Bett gehst und bemerkst: Du hast heute nicht eine Sekunde an ihn gedacht. Deine Pläne drehen sich nur noch um dich. Das ist der Moment, in dem die Trennung wirklich vollzogen ist – nicht auf dem Papier, sondern in deinem Herzen.

Links und Lesetipps zum Blogartikel:

„Nein-Sagen“ ist deine neue Superkraft: Grenzen setzen nach der Trennung

📚 Lesetipps zum tiefer Einsteigen

👉 „Kopf hoch“? Warum dieser Rat nach der Trennung oft falsch ist
👉 Die 5 Phasen der Trennung und wie du sie durchstehen kannst
👉 Mit dem Kind über die Trennung sprechen: Altersgerechte Worte in schwierigen Zeiten

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Quellen:

Clark, B. (Canadian Paediatric Society, Position Statement). (2013). Supporting the mental health of children and youth of separating parents. Paediatrics & Child Health, 18(7), 373–377. https://doi.org/10.1093/pch/18.7.373

Emery, R. E. (2012). Renegotiating family relationships: Divorce, child custody, and mediation (2nd ed.). Guilford Press.

Perrin, M. B., Ehrenberg, M. F., & Hunter, M. A. (2013). Boundary diffusion, individuation, and adjustment: Comparison of young adults raised in divorced versus intact families. Family Relations, 62(5), 753–767. https://doi.org/10.1111/fare.1204